Gedanken zur aktuellen Corona Pandemie
Die Infektionszahlen steigen, sowohl im Berchtesgadener Land als auch im Rest von Bayern, Deutschland und Europa. Corona existiert und es müssen Maßnahmen getroffen werden. Und doch scheinen wir auf einem schmalen Grad unterwegs zu sein, denn wie die Infektionszahlen, steigen auch Unverständnis und Unmut in der Bevölkerung.
Eines möchten wir gleich zu Beginn klarstellen – dieser Text soll kein Wasser auf die Mühlen der Corona Leugner sein. Corona ist eine reale Gefahr für die es Lösungen zu finden gilt und mit der wir wohl noch eine sehr lange Zeit leben müssen. Genau aus diesem Grund brauchen wir aber Lösungen, die von der breiten Masse der Bevölkerung mitgetragen werden. Lösungen die ein Leben mit Covid-19 zulassen das für Gesellschaft und Wirtschaft verträglich ist. Der aktuelle Umgang mit der Pandemie führt zwingend zu einer immer stärkeren Spaltung der Gesellschaft. Es gibt nur noch schwarz und weiß. Es gibt die vehementen Verfechter der strengen und von oben herab erlassenen Regeln und es gibt den Teil der Bevölkerung, der kein Verständnis hat für zum Teil überzogenen Maßnahmen. Ein offener und lösungsorientierter Diskurs zwischen den beiden verhärteten Fronten scheint derzeit nicht mehr möglich zu sein.
Infektionszahlen, Grenzwerte und Schlussfolgerungen
Es gibt Fakten die man nicht wegdiskutieren kann. Die Anzahl der positiv getesteten Personen hat in den vergangenen Wochen stark zugenommen. Infektionszahlen, Inzidenzwerte und der R-Wert sind gestiegen und haben die zuvor definierten Grenzwerte überschritten. Im Bundesvergleich hat das BGL seit Tagen mit die höchsten Inzidenzwerte (264 Stand 29.10.20), ebenso Bayern (108, Stand 29.10.2020). Doch warum sind die Fallzahlen in den vergangenen Tagen und Wochen so stark angestiegen? Ein Grund dafür sind sicherlich lokale Gegebenheiten, Hotspots, und Infektionsgeschehen. Ein weiterer Grund ist die gestiegene Anzahl an Tests. Durch die hohen Fallzahlen und die mediale Aufmerksamkeit ist eine gewisse Panik bei uns entstanden, die dazu führt, dass die Testbereitschaft enorm zugenommen hat. Die Dunkelziffer an Infektionen, die mit milden Verläufen oder sogar symptomfrei verlaufen, ist plötzlich keine Dunkelziffer mehr. Unbemerkte „Krankheitsfälle“ die wir zweifelsohne bereits seit Monaten hatten, scheinen jetzt in den Statistiken auf.
Zudem ist Bayern das einzige Bundesland, in dem sich die Bevölkerung freiwillig kostenlos testen lassen kann – ohne Anweisung von Arzt oder Gesundheitsamt. Das ändert zwar nicht die Zahl der Infektionen, lässt jedoch den Vergleich mit anderen Bundesländern unrealistisch erscheinen. In ganz Deutschland wurden in der KW 42 (Mitte Oktober) 1,2 Mio. Tests durchgeführt. In der KW 30 (Ende Juli) waren es nicht einmal die Hälfte und während dem Lockdown in KW 13 (Ende März) waren es nicht einmal ein Drittel (Quelle RKI). Spannend wäre wie viele Test im BGL im Vergleich zu anderen Regionen durchgeführt wurden, doch hierzu gibt es leider keine öffentlichen Zahlen. Hinzukommt, dass die Grenzwerte der Corona-Ampel, die jetzt gerissen werden zu einer Zeit festgelegt wurden, in der nicht absehbar war, was diese Werte genau bedeuten. Diese Grenzwerte sollten zumindest kritisch hinterfragt und neu diskutiert werden.
Aktuell werden von diesen Grenzwerten Maßnahmen abgeleitet. Doch wozu dienen diese Maßnahmen? Die einzige Rechtfertigung für harte Maßnahmen wie einen Lockdown oder Betriebsverbote ist der Schutz der Schwachen in unserer Bevölkerung und unser Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Bilder wie in Italien vor einigen Monaten möchte sicher niemand haben. Aber scheinbar stehen die aktuellen Grenzwerte hierzu in keiner Relation. Das Berchtesgadener Land ist bundesweiter Spitzenreiter was die Zahlen betrifft, und doch befinden sich aktuell nur wenige Personen wegen dem Virus im Krankenhaus.
Kritik an den getroffenen Maßnahmen und deren Verhältnismäßigkeit
Besonders kritisch betrachtet werden die getroffenen Maßnahmen bei uns im Berchtesgadener Land vor dem jetzt anstehenden nationalen Lockdown. Neben vielen wichtigen und sinnvollen Maßnahmen wie Maskenpflicht, Mindestabständen und dem Verbot von Großveranstaltungen, privaten Feiern, gibt es auch einige Maßnahmen, die von den Bürgern als sinnlos oder überzogen wahrgenommen werden. Gastronomiebetriebe und Hotels mussten sofort schließen, trotz funktionierender Präventionsmaßnahmen und massiven Bemühungen und Investitionen, um die bestehenden Regelungen einhalten zu können. Und das obwohl laut Studie des RKI kaum Infektionen auf diese Branche zurückgehen. Andere Branchen mit Besucherverkehr mit ähnlichen Präventionsmaßnahmen durften geöffnet bleiben. Arbeitnehmer aus dem BGL mit Wohnsitz im benachbarten Österreich sollen einem wöchentlichen Corona-Test-Verfahren unterzogen werden, private Grenzübertritte sind mittlerweile für maximal 24 Stunden erlaubt. Die Regeln ändern sich täglich, einen wirklichen Überblick hat kaum noch jemand.
Während manche Institutionen öffnen durften, die zum Teil besonders stark von Risikogruppen besucht werden, dürfen Kinder nicht auf die Spielplätze, Outdoor-Sportanlagen dürfen nicht genutzt werden und die Wanderparkplätze werden gesperrt. Gerade an der frischen Luft ist die Ansteckungsgefahr geringer und die Bewegung wäre wichtig für Psyche und Körper.
Ähnlich verhält es sich mit Schulen und Kindergärten. Eltern haben es mitunter durch Corona am schwierigsten. Mehrfach werden Elternteile in unseren Rathäusern vorstellig, den Tränen nahe und am Rande der Belastbarkeit. Und das obwohl Kinder wohl selten infiziert oder infektiös werden. Selbst viele Lehrer weisen darauf hin, dass sich die Kinder sehr gut an die Gegebenheiten gewohnt haben und der Unterricht trotz der Pandemie einwandfrei funktioniert hat. Mit der Schließung der Schulen werden zum einen ganze Familien belastet, zum anderen werden Kinder, die zu Hause aus organisatorischen Gründen weniger Unterstützung beim Lernen erfahren, einfach benachteiligt.
Wenn man sich die nackten Zahlen ansieht, stellt sich zudem die Frage der Verhältnismäßigkeit. Insgesamt wurden seit Beginn der Pandemie im Durchschnitt 9 von 1.000 Einwohnern im BGL positiv getestet, wobei die Werte pro Gemeinde auch noch deutlich schwanken. Grund zur Sorge gibt, dass ein Drittel dieser Ansteckungen zwischen 16.10 und 23.10 stattgefunden hat. Das zeigt, dass konkrete Maßnahmen nötig sind und waren.
Politischer Diskurs fehlt
Ein weiteres Problem besteht darin, dass Maßnahmen von oben herab diktiert und „verfügt“ werden. Demokratisch gewählte Vertreter der Politik, wie Kreistag, Bürgermeister, Gemeinderäte und gefühlt sogar ein Landrat scheinen zum Teil nur noch Marionetten zu sein und ihre Informationen ebenfalls aus den Medien zu erhalten. Dabei wären es die Gemeinde- und Stadträte, die Bürgermeister und andere gewählte Personen, zu denen von Seiten der Bevölkerung noch ein Vertrauensverhältnis besteht. So wird die Kluft zwischen dem normalen Bürger und den Politikern, die unsere Maßnahmen angeordnet haben nur noch größer. Entscheidungen mit solcher Tragweite sollten dringend auch in den regionalen Parlamenten diskutiert werden, denn das ist der eigentliche Sinn unserer Demokratie.
Zündstoff für die Gesellschaft
Diese und viele weitere Tatsachen führen zu Wut, Unverständnis und Spaltung. Dabei wäre gerade jetzt eine funktionierende Gesellschaft, in denen die Menschen Verständnis füreinander haben wichtiger denn je. Statt Partei zu ergreifen für das eine oder andere Extrem, wäre es viel wichtiger Verständnis für den Gegenüber aufzubringen. Wieso fordern die älteren Menschen strengere Maßnahmen? Sind Ängste dafür verantwortlich? Wieso ignoriert die Jugend manche Maßnahme? Spielen soziale Kontakte für Teenager oder Singles eine viel wichtigere Rolle als für ein Ehepaar das seit 40 Jahren verheiratet ist? Die Bandbreite der Ansichten und Meinungen ist groß, aber jeder beschränkt sich nur auf sein eigenes Bild. Kaum jemand versucht die Probleme, Sorgen und Ängste anderer Generationen oder Gesellschaftsschichten zu verstehen. Zu weitreichende Maßnahmen bieten Zündstoff für Wirtschaft und Gesellschaft und können deutlich mehr Schäden verursachen, als aktuell vorherzusehen ist. Genau deshalb sollten unsere gewählten Vertreter, die die Probleme vor Ort kennen und aus allen Gesellschaftsschichten kommen über unsere Zukunft diskutieren, anstatt nur von oben Maßnahmen diktiert zu bekommen.
Ja, wir sind keine Virologen, keine Wissenschaftler, keine Ärzte. Aber wir erleben tagtäglich die Situation vor Ort. Wir müssen mit den Maßnahmen und deren Folgen heute und in der Zukunft leben. Diese Pandemie wird uns noch eine sehr lange Zeit begleiten und auch ein Impfstoff wird nicht die Lösung aller Probleme sein. Wir sollten nicht kurzfristig bis zum nächsten Lockdown planen, sondern versuchen unsere heimischen Betriebe langfristig zu stärken und dafür sorgen, dass unsere Gesellschaft nicht in Depression verfällt. Deshalb sollten wir zumindest ein Mitspracherecht einfordern und mit etwas mehr Weitblick und Menschenverstand entscheiden.
Unsere Forderungen im Umgang mit der Pandemie:
Mit diesem offenen Brief soll das Stimmungsbild in der Region wiedergegeben werden, ohne die Spaltung der Bürger weiter voranzutreiben. Wir müssen weg von der Polarisierung mit Angst und Panik auf der einen und dem Leugnen der Pandemie und den Verschwörungstheorien auf der anderen Seite. Wir brauchen einen Weg zurück zur Mitte mit sinnvollen Maßnahmen, den die Bürger im BGL und ganz Deutschland verstehen und bereit sind mitzugehen. Deshalb sprechen wir uns für folgende Maßnahmen aus.
Um unsere regionalen Betriebsstätten langfristig erhalten zu können, müssen Gastronomie und Hotellerie wieder mit bereits etablierten Hygienemaßnahmen und Maskenpflicht öffnen dürfen. Für den Grenzverkehr und insbesondere die Berufspendler brauchen wir einfachere Lösungen. Die Nutzung von Kinderspielplätzen, Wanderparkplätzen und Outdoor-Sportanlagen hat auf das Infektionsgeschehen keinen Einfluss und muss unter Einhaltung der Abstandsregeln wieder erlaubt werden.
Was Schul-, Kindergarten- und Krippenschließungen und alle weiteren Betriebsuntersagungen betrifft, braucht es dringend eine Diskussion in den politischen Gremien, sowohl regional, als auch überregional. Entscheidungen dieser Tragweite, die noch dazu auf unsere Region beschränkt sind, sollten auch von den von uns gewählten Vertretern diskutiert und beschlossen werden.